Meine Kollegen und Studenten an der hiesigen Universität in der Mongolei  habe ich während meines nunmehr schon mehrjährigen Aufenthaltes durch meine Erzählungen über Europa neugierig auf diese ferne und fremde Welt gemacht und sie zu einer Studienreise animiert. Mit einigen von ihnen absolvierte ich eine mehrwöchige Reise durch eine Vielzahl europäischer Länder.

Durch Vergleich der kulturellen Unterschiede zwischen der Mongolei und den besuchten Ländern ergaben sich für alle und auch mich neue Aspekte und Sichtweisen, die wir nach unserer Rückkehr in produktiven Diskussionen reflektierten.

Eines der Themen, das mich persönlich schon immer berührte, war das Kunterbunt der Sprachen und der Umgang mit der Sprachenvielfalt: Die Globalisierung hatte naturgemäß auch in der Mongolei zur Folge, dass die Bewohner nicht nur mit den Nachbarsprachen Russisch und Chinesisch und zwangsläufig mit der Weltsprache  Englisch, sondern  auch mit vielen europäischen und asiatischen Sprachen in Kontakt kamen. Ihre offene und wache Weltsicht beurteilte die Sprachendiversität als Ergebnis der menschlichen Neigung, sich von Unbekanntem abzugrenzen, einzuigeln, einen Herrschaftsraum für sich zu schaffen, diesen möglichst auszuweiten und mentale Barrieren zum Nächsten aufzurichten.

Die negativen Auswirkungen des Sprachenbabylons auf zwischenmenschlichem, ökonomischem und politischem Gebiet wurden als  überwiegend angesehen gegenüber der allgemein propagierten Ansicht, dass die Sprachenvielfalt eine Bereicherung darstellt. Letztere und derzeit herrschende Ansicht wurde als dem Allgemeinwohl widersprechende politische Machtausübung und Rechtfertigung nationaler Gedankenwelten qualifiziert

Die Mongolei begegnete den sprachlichen Kommunikationsbarrieren auf Grund der Überlegung, dass sich eine kontinentweite und überkontinentale lingua franca erst in einem späteren Zeitalter durchsetzen wird, mit der Propagierung der Mehrsprachigkeit. Die Annahme einer sich in späteren Zeiten durchsetzenden lingua franca ergab sich aus der Vorstellung einer Pendelbewegung gegen das Auseinanderfallen der Sprachen auf Grund der menschlichen Unzulänglichkeiten. Die Gewissheit der steten Fortentwicklung und Vervollkommnung des menschlichen Gehirns bestärkte die Vertreter dieser Annahme, jedoch mit dem Eingeständnis, dass die durch Jahrhunderte währende gegenseitige Abgrenzung der Völker nicht in einem Dutzend von Jahren in eine entgegengesetzte Richtung gekehrt werden kann.

Einer weisen Regierung  gelang es, die Bevölkerung zu überzeugen, dass der Erwerb anderer Sprachen neue Identitäten und eine größere Heimat schafft durch die Erweiterung des Gesichtsfeldes, die Befreiung von den mit der Muttersprache verbundenen emotionalen Grundhaltungen, das gefühlsmäßige Erleben anderer Lebenseinstellungen, die Hinwendung zu anderen  Menschen über das gewohnte Umfeld hinaus.

Der hohe Stellenwert des Vaterlandes wurde auf Grund der Vertrautheit mit ihm sowie der Vorbehalte und Vorurteile gegenüber den nicht oder weniger bekannten Ländern erklärt. Die unzulängliche Kenntnis anderer Länder und die Kommunikationsdefizite auf Grund fehlender Sprachkenntnisse wurden somit als Gründe für die Überbewertung der eigenen Heimat gehalten. Schließlich wurde auch betont, dass in jeder menschlichen Gemeinschaft die Ansicht besteht, den Mittelpunkt der Welt zu bilden und den Anderen gegenüber überlegen zu sein.

Bevor ich auf die in der Mongolei getroffenen Maßnahmen zur Förderung der Mehrsprachigkeit eingehe, möchte ich noch einmal eine in den Diskussionen besonders hervorgehobene Facette des Erwerbs und der Anwendung mehrerer Sprachen betonen:

Den Aspekt der emotionalen Dimension der Sprachen. Diese wird auf Grund der Beobachtung angenommen, dass jede Sprache unterschiedliche Grundhaltungen, Lebenseinstellungen, Eigenschaften und Verhaltensweisen vermittelt. Die Fragen, die sich bei diesen Diskussionen ergaben – „ Was war früher, die Henne oder das Ei?“, beeinflusst somit die Sprache die emotionalen Haltungen oder umgekehrt, und weiters „Werden schüchterne Kärntner extrovertierter, wenn sie Italienisch lernen?“-  zeigen den Komplex des  Zusammenhangs unserer Sprachen mit unserer Weltsicht und unseren Rollenbildern. Es wird demnach angenommen, dass das Kommunizieren in mehreren Sprachen einen emotionalen Ausgleich schafft zwischen den  durch einzelne Sprachen verursachten besonders ausgeprägten Verhaltensweisen. Diese Thematik bedarf noch eingehender Untersuchungen und wird uns künftig viel Raum zu Diskussionen geben.

Ich will diesen Bericht nicht weiter ausufern lassen und nur noch kurz auf die von der mongolischen Regierung gesetzten Maßnahmen im Zusammenhang mit den Sprachenfragen verweisen.

Die Eckpunkte lassen sich wie folgt darstellen:

  1. Der Unterricht der Fremdsprachen erfolgt verstärkt durch native speaker, die Auswahl und die Anzahl der Sprachen wird den Eltern der Schüler überlassen,
  2. Der Sprachunterricht wurde von den anderen Unterrichtsfächern abgekoppelt und wird nicht benotet: Analog dem Europäischen Referenzrahmen für Sprachen werden die Schüler in A1 bis C2- Gruppen unterrichtet, die nicht mit den Schulklassen korrespondieren müssen,
  3. die A1 bis C2- Gruppen werden, um annähern gleich große Gruppen bilden zu können, gemeinsam mit Schülern benachbarter Schulen gebildet,
  4. ab dem Niveau B2 wird der Sprachunterricht auf die jeweilige Schultype abgestellt, um am Ende der Schulzeit in den allgemeinen Unterrichtsgegenständen auch in der jeweiligen Fremdsprache kommunizieren zu können,
  5. das immerwährende Lernen während des Erwerbslebens wird auf nicht in der Schulzeit erlernte Sprachen ausgedehnt, die schulischen Einrichtungen in der schulfreien Zeit mitbenützt, die Kosten steuerlich voll absetzbar gemacht.

Ich will nicht verschweigen, dass die Umsetzung aller vorangeführten Maßnahmen natürlich nicht reibungslos verliefen und immer wieder Verbesserungen vorgenommen werden. Dies deckt sich jedoch mit all unseren Lebenserfahrungen. Schließlich sind wir unvollkommene Menschen, deren Fortschritte sich nur erhoffen und nicht wissenschaftlich prognostizieren lassen.

Prof. Valentino Klepetulja