Früher Erwerb von Sprachen: Pro und Kontra

Eine Veranstaltungsreihe des Club tre popoli/Verein zur Förderung der Zusammenarbeit im Alpen-Adria-Raum in Kooperation mit dem Carinthian International Club

Weltsprachen- Nachbarsprachen- Migrantensprachen:
Welche Sprachen wann    lernen

Zwei- und Mehrsprachigkeit als Standard

Last und Lust des Sprachenlernens

 

Für diesen Herbst hat sich der Club tre popoli eines seiner Kernthemen vorgenommen: unter dem Titel „Früher Erwerb von Sprachen: Pro und Kontra“ haben wir interessante Vortragende aus der Wissenschaft und dem Bildungsbereich eingeladen, mit uns ihre Erkenntnisse und Erfahrungen zu diskutieren.

10.10.2017

Den Auftakt machten Univ.-Prof. Georg Gombos, Leiter des Instituts für Interkulturelle Bildung an der Alpe Adria Universität Klagenfurt und Fr. Dr. Karin Martin, Sprachwissenschaftlerin und Beraterin für Mehrsprachigkeit in Villach.

 Prof. Gombos erläuterte die unterschiedlichen Einflussfaktoren, die den Erwerb einer Zweit- oder Drittsprache positiv oder negativ beeinflussen und wies auf die beim Spracherwerb auftretenden Emotionen hin: im heutigen Schulsystem ist das Erlernen von Fremdsprachen noch immer häufig mit Angst vor Prüfungen oder Schularbeiten verbunden; an sich sollte aber das Lernen neuer Inhalte wie eben Sprachen das Lustzentrum aktivieren. Grundsätzlich ist der Erwerb von zwei oder mehr Sprachen im Kindesalter keineswegs negativ zu beurteilen, wie es in der Vergangenheit immer wieder der Fall war („dann lernt das Kind keine Sprache richtig“). Mit seinen sehr persönlichen Erfahrungen als mehrsprachiger Europäer plädierte er für das Lernen einer Nachbarsprache (in unserem Fall also Italienisch oder Slowenisch) zusätzlich zur „lingua franca“ Englisch. Die angeregte Diskussion im Anschluss an seine Ausführungen zeigte, wie sehr die Thematik die Zuhörer bewegte.

Frau Dr. Martin berichtete aus ihrer Praxis als Beraterin für Mehrsprachigkeit, als welche sie schon mit Familien aus der ganzen Welt gearbeitet hat. Sie wies auf den sozialen Aspekt der Sprache hin und brachte das Beispiel von Ali und Elisabeth, zwei Kindern, deren Muttersprache Arabisch (Ali) bzw. Englisch (Elisabeth) sind: im Fall der englischsprechenden Elisabeth sind die Reaktionen des Umfelds durchwegs positiv („mit Englisch kann man etwas anfangen“), beim Arabisch sprechenden Ali dagegen skeptisch bis ablehnend. Diese Erfahrungen prägen die Kinder und wirken sich entscheidend auf die Sprachkompetenz aus. Um zu verdeutlichen welche Sprachkompetenz ein mehrsprachiger Mensch hat, zeigte sie drei Bilder: das eines Läufers, das eines Hochspringers und das eines Hürdenläufers. Der Läufer kann gut laufen und der Springer gut hochspringen, der Hürdenläufer aber kann laufen und springen, aber eben auf seine eigene Art. So ist es auch bei mehrsprachigen Kindern: sie haben vielleicht nicht in jeder Sprache die gleiche Kompetenz, und doch sind sie Meister der Kommunikation in unterschiedlichen Sprachen.

21.10.2017

Die Veranstaltungsreihe wurde mit drei weiteren Vorträgen fortgesetzt, die neue und z.T. überraschende Informationen und Einsichten vermittelten.

Prof.Dr. Simone Pfenninger, gebürtige Schweizerin mit Studium in Berlin und Zürich, ist Professorin am Department für Anglistik und Amerikanistik der Universität Salzburg.

Ihre Forschungsergebnisse zum Fremdsprachenerwerb belegen – entgegen einem weit verbreiteten Mythos – dass Kinder keine „Sprachschwämme“ sind, die fremdsprachlichen Input einfach so aufsaugen. Unter Berücksichtigung aller Faktoren ist der Altersfaktor eher schwach. Worauf kommt es also beim Sprachenlernen an? Vor allem auf einen „regelmäßigen und reichen Input“! Was bedeutet das? Quantität und Intensität sind wichtig: 1-2 Wochenstunden in Kindergarten oder Schule sind viel zu wenig,  bilingualer Unterricht in verschiedenen Fächern ist effektiv, ebenso wie „Sprachbäder“. Kinder, die erst mit ca. 10 Jahren eine Fremdsprache erlernen sind in der Muttersprache schon sehr kompetent und holen den Vorsprung der „early beginners“ auf. Die besten Ergebnisse hatten bei den jeweiligen Tests im Alter von 13 und 17 Jahren diejenigen Jugendlichen, die in der Muttersprache und der jeweiligen Fremdsprache gut lesen und schreiben konnten.

Elizabeth McAdams ist Sprachpädagogin in Klagenfurt,  Mutter von 3 Kindern, und hat ein Thema behandelt, das für die TeilnehmerInnen ziemlich neu gewesen sein dürfte:

„Third Culture Kids“ (Kinder die in einer anderen Kultur aufgewachsen sind als ihre Eltern)

Der Begriff Third Culture beruht auf Forschungen,  die zeigen, dass Kinder, die in einem anderen sprachlichen Umfeld als dem der elterlichen Sprache aufwachsen, sich nicht an eine der Kulturen (der elterlichen oder der des Umfeldes) anpassen, sondern eine Art „Drittkultur“  entwickeln.

Auf Grund einer geschärfte Wahrnehmung/Beobachtung ihrer Umgebung sind „Third Culture Kids“  in der Lage, auch ungeschriebene Regeln einer neuen  Umgebung zu erkennen. Dadurch fällt es ihnen leichter, sich in die Menschen, die in einer anderen Kultur leben, hinein zu fühlen; sie können auch Aspekte des Gastlandes besonders gut genießen. Diese Kompetenzen führen oft zu einem ausgeprägten Selbstbewusstsein/Selbstwertgefühl. Sehr berührende Texte von „Third Culture Kids“ haben uns allerdings auch gezeigt, dass manche von ihnen unter einem Gefühl der Wurzellosigkeit leiden.

Prof. Franco Finco ist Friulaner und unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule Klagenfurt. Er begrüßte uns 4-sprachig: deutsch, slowenisch, italienisch und friulanisch, um sodann über die mehrsprachige und interkulturelle Lehrer/innenbildung an der PH zu berichten. Unser Raum mit den aneinander grenzenden Sprachen der drei großen europäischen Sprachfamilien ist nach seiner Überzeugung ein ideales Forschungsfeld. Das Institut bietet hierzu den Studienschwerpunkt „Mehrsprachigkeit und interkulturelle Bildung in der Alpen-Adria Region / Večjezičnost in medkulturno izobraževanje v regiji Alpe-Jadran / Plurilinguismo ed educazione interculturale nella regione Alpe Adria“ an. In verschiedenen Modulen erlernen die Studierenden u.a. Grundkenntnisse der Nachbarsprachen (Slowenisch, Italienisch, BKS) in Form immersiver Sprachbäder.

Sie lernen verschiedene mehrsprachige Schul- und Unterrichtsmodelle im Rahmen der zwei- und mehrsprachigen Erziehung und Bildung in Friaul – Julisch Venezien und Slowenien kennen und setzen sich mit der Vielfalt in heterogenen Klassen auseinander.

Die rege Diskussion mit den TeilnehmerInnen wurde beim anschließenden Mittagessen noch bis 15 Uhr fortgesetzt.

11.11.2017

Die 4 Präsentationen des Vormittags waren diesmal einem Überblick über die Situation des Minderheitenschulwesens in Slowenien, Julisch Venetien und Kärnten sowie der Praxis des Fremdsprachenunterrichts in den Minderheitenschulen gewidmet:

„Erfahrungen, erreichbare Sprachkompetenzen und Problemstellungen im  mehrsprachigen Unterricht in Slowenien, Friaul- Julisch Venetien und Kärnten“

Sara Perosa, Lehrerin für Italienisch am Istituto tecnico statale »Jozef Stefan« in Triest, referierte sozusagen als lebendiges Beispiel für Zweisprachigkeit in slowenischer Sprache. Nach einem Überblick über das italienische Schulsystem, und die Stundentafel für den Sprachunterricht berichtete sie über einen Anstieg des Interesses am Slowenischen, was z.T. auch auf berufliche Anforderungen im Rahmen stärkerer grenzübergreifender Aktivitäten zu tun hat (z.B. die Vernetzung der Spitäler in Gorizia und Nova Gorica). Da überdies die Klassenschülerzahlen in den Minderheitenschulen (die von der EU gefördert und vom Ministerium in Rom unterstützt werden) geringer sind als im Regelschulwesen, besteht auch seitens der Eltern eine steigende Nachfrage, ihre Kinder in die slowenischen Schulen zu geben; dadurch besuchen auch Kinder ohne Vorkenntnisse in Slowenisch diese Schulen. Der Unterricht basiert auf einem sehr guten Schulbuch »Dobrodošla slovenščina« und enthält spezielle didaktische Ansätze wie  die Einbeziehung des Triestiner Dialekts mit seinenen vielen slowenischen Wörtern. Die SchülerInnen bilden oft direkte (falsche) Übersetzungen von einer Sprache in die andere: Kako se kličeš? Nach: Come ti chiami? Anstatt kako ti je ime? Oder: Koliko let imaš? Nach: Quanti anni hai? Anstatt: Kako si star?

Der Spracherwerb wird im Übrigen durch Auslandsaufenthalte, Einladung von ausländischen Gastingenieuren mit gemeinsamen Projekten erc. unterstützt.

Prof. Mag. Magdalena Angerer-Pitschko, Leiterin des Instituts für Mehrsprachigkeit und Interkulturelle Bildung an der PH Kärnten gab zunächst einen historischen Überblick über die Entwicklung des Minderheitenschulwesens in Kärnten von den ersten Ansätzen unter Maria Theresia (!) über die nationalen Konflikte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und die völlige Verbannung der slowenischen Unterrichtssprache im Nationalsozialismus bis zum Artikel 7 des Staatsvertrags, das Minderheitenschulgesetzt 1959 (Anmeldeprinzip) und das sog. „Pädagogenmodell“ 1988, womit u.a. in Klassen mit zweisprachigem  Unterricht die Klassenschülerhöchstzahl gesenkt, die Teilung nach dem Kriterium der Unterrichtssprache erleichtert sowie in Klassen mit zweisprachigem und einsprachig deutschem Unterricht das Zweilehrersystem eingeführt wurde. 1990 wurde die Möglichkeit für zweisprachigen Unterricht auch außerhalb des Geltungsbereichs des Minderheitenschulwesens ermöglicht (auf dieser Basis wurde in Klagenfurt eine öffentliche zweisprachige Volksschule eröffnet). Neben den Pflichtschulen gibt es in Kärnten an Höheren Schulen das BG und BRG für Slowenen, die Zweisprachige Bundeshandelsakademie Klagenfurt sowie die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe St. Peter.

Gegenwärtig sind 4062 Kinder und Jugendliche zum zweisprachigen Unterricht angemeldet, wobei seit einigen Jahren eine Steigerung, auch bei Slowenisch als Wahlpflicht/Freifach zu verzeichnen ist.

Dies führt zu der Situation, dass (analog zu der Situation in Triest) auch Kinder ohne Vorkenntnisse in Slowenisch zweisprachige Klassen besuchen, was einen differenzierten Unterricht nötig macht.

Fördernde Lernfaktoren sind u.a. ein gutes Lernklima, Wertschätzung und positive Einstellung gegenüber der zu erlernenden Sprache und der mit ihr verbundenen Kultur sowie eine kontinuierliche und langfristige Sprachbildung.

Zwei Best-practice-Beispiele wurden angeführt:

In der öffentlichen Volksschule 24 in Klagenfurt wechseln die Schüler wochenweise zwischen Unterricht in slowenischer und deutscher Sprache („Sprachbad“), wobei jede Sprache an eine Lehrperson gebunden ist; ein Schwerpunkt ist auch die Lesekompetenz in beiden Sprachen.

Das zweite Beispiel sind die Julius-Kugy-Klassen am BG/BRG für Slowenen, wo pro Klasse jeweils eine Sprache den Schwerpunkt bildet (beginnend mit Italienisch, dann Slowenisch, Deutsch und Englisch, Latein ab der 5. Klasse).

Mojca Filipčič und Remza Lulić, Lehrerinnen an der italienischen Volksschule Vincenzo e Diego de Castro in Piran/Pirano referierten in italienischer Sprache, dass in Piran, Koper und Izola jeweils 1 Pflichtschule (9 Unterrichtsjahre) und jeweils 1 Höhere Schule eingerichtet sind. Unterrichtssprache ist Italienisch, Slowenisch Pflichtfach ab der 1. Klasse mit 3-4 Wochenstunden durchgehend bis zur 9. Klasse. Eine große Herausforderung sind Schüler unterschiedlichster Nationalität ohne Vorkenntnisse in Italienisch; dies erfordert einen sehr stark individualisierten Unterricht. Ein besonderes Merkmal dieser UNESCO-Schule ist die große Vielfalt an außerunterrichtlichen Aktivitäten: Begegnungen mit Partnerschulen, Thementage mit Exkursionen (Technik, Kultur, Naturwissenschaften, Skulpturlaboratorium, Sport…) sowie spezielle Leseförderung: Reading badge, Epi lectura, der Bücherwurm, distintivo per la lettura lingua italiana, Bralna značka (lingua slovena), nationale Wettbewerbe und Vieles mehr. Die Verwendung des Italienischen in unterschiedlichsten Kontexten wird als essentiell für den Spracherwerb angesehen. Englisch beginnt mit nur 2 Wochenstunden, mit einer Steigerung auf 3-4 Stunden ab der 5. Klasse. Im Vergleich mit SchülerInnen auf dem italienischen Territorium erreichen die SchülerInnen bei standardisierten Prüfungen in Englisch überdurchschnittliche, in Italienisch unterdurchschnittliche Bewertungen.

 

Wir danken Julija Schellander und Anna Maria Valle  für die Konsekutivübersetzungen jeweils aus dem Slowenischen und Italienischen.

Unser Dank gebührt auch dem Kooperationspartner CIC (Carinthian International Club) sowie der Altlandeshauptmann Hans Sima Privatstiftung für die finanzielle Förderung